Wie CO2-neutrale Fertigung möglich wird
Der digitale Zwilling ermöglicht Echtzeit-Analysen zu Energieverbrauch und CO2-Ausstoß. Voraussetzung sind vernetzte Maschinen. Mit der neuen Komponente ,Machine Repository´ können Unternehmen die digitale Anbindung identischer Maschinen in kürzester Zeit weltweit skalieren
Ein mächtiges Werkzeug: Datengetriebene Fertigung mit dem digitalen Zwilling
Eine klimafreundliche, CO2-neutrale fertigende Industrie – so lautet eines der großen Ziele von Politik und Unternehmen im 21. Jahrhundert. Jüngst hat die EU ihren „Green Deal“ mit dem Programm „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU‑Klimaziels für 2030“ weiter konkretisiert. Nachhaltigkeit ist eine der wichtigsten Fragen der Wirtschaft, erklärte jüngst Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank: „In fünf Jahren wird das Nachhaltigkeitsrating genauso wichtig sein wie das heutige Kreditwürdigkeitsrating.“
Für eine CO2-neutrale Fertigung gibt es ein mächtiges Werkzeug: digital datengesteuerte Fertigung (data-driven manufacturing). Sie ermöglicht es, die strategische Kernaufgabe Nachhaltigkeit – Sustainability – erfolgreich zu managen. Mit datengesteuerter Fertigung können die Energieverbräuche oder der CO2-Ausstoß von globalen Fabriknetzwerken überwacht und gesteuert werden.
Martin Strehl von BorgWarner Cooling Systems GmbH in Markdorf, Baden-Württemberg, erklärt: „Die Konnektivitäts-Lösung von FORCAM ermöglicht es uns, Energiedaten in der Produktion schnell zu erfassen und daraus die entsprechenden Auswertungen für ein kontinuierliches Energiemonitoring zu erstellen. Diese Daten können wir jederzeit in Echtzeit im System abrufen. So haben wir unsere Energiekosten kurz- und langfristig im Griff.“
Der Weg zur klimafreundlichen Produktion führt dabei über den sogenannten digitalen Zwilling der Produktion. Er ermöglicht es, Verschwendungen und Fehler in Fabriken in Echtzeit virtuell zu analysieren und real zu optimieren.
Der digitale Zwilling stellt den zentralen Hebel einer jeden digitalen Transformation dar: Mit smarten Informationen, Smart Data, können Echtzeit-Analysen jeder Art in spezialisierten Programmen gefahren werden – zum Beispiel Effizienz-Analysen zu Leistung (OEE), Qualität, Wartung, Betrieb, Rückverfolgbarkeit (Track & Trace), und eben Auswertungen für eine nachhaltige Produktion.
Königsdisziplin Konnektivität 4.0 – Fundament aller strategischen Ziele der Digitalisierung
Königsdisziplin für den digitalen Zwilling und jede erfolgreiche IIoT-Strategie ist Konnektivität. „Ohne Konnektivität geht im digitalen Raum nichts“, heißt es in der McKinsey-Studie „Industrielles IoT und führende Technologien als Treiber der digitalen Transformation in der Produktion“.
Eine umfassende digitale Vernetzung aller Fabrikanlagen und die Umwandlung von Maschinensignalen in Smart Data bilden das Fundament für alle strategischen Ziele der Digitalisierung – eine nachhaltige und effiziente Produktion, eine Integration der Fertigungsprozesse in globale Liefer- und Serviceketten, die Etablierung neuer Geschäftsmodelle.
Operativ bedeutet das: Erst, wenn alle Signale aus heterogenen Maschinenparks einheitlich digital erfasst und die eingesammelten Signale aus Maschinen und Sensoren in eine einheitliche Sprache übersetzt sind, wird der digitale Zwilling geboren. Er ermöglicht dann die agile Fertigung, indem er den IT-Systemen und Apps das smarte Futter liefert, welches diese für die unterschiedlichsten Echtzeit-Analysen benötigen – für historische Leistungsanalysen, für das KI-basierte Erkennen akuter Anomalien, für vorhersagende Wartung oder Fehler-Prognosen.
Big Data zu Smart Data raffinieren
Daher ist das geflügelte Wort zutreffend: „Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts“. Doch so, wie Rohöl zu Benzin, Diesel oder Kerosin raffiniert werden muss, um Motoren anzutreiben, müssen die geförderten Datenmengen – Big Data – in aussagekräftige Informationen – Smart Data – umgewandelt werden, um eine agile Fertigung voranzubringen. Das Raffinieren von Big Data zu Smart Data kann als Konnektivität 4.0 verstanden werden. Eine erfolgreiche Konnektivität 4.0 zeichnet sich durch drei Schritte aus:
Die Kluft zwischen IT und OT schließen
Jedes fertigende Unternehmen hat eigene Ausgangsbedingungen: In jeder Produktion sind Maschinen von unterschiedlichsten Herstellern und aus unterschiedlichen Jahrgängen im Einsatz. Die digitale Anbindung solcher heterogenen Maschineparks gilt bislang als eine der zentralen Herausforderungen für global fertigende Unternehmen. Immerhin müssen sie getätigte Milliarden-Investitionen in vorhandene Maschinenparks schützen, gleichzeitig aber benötigte Innovationen in ihren Fabriken ermöglichen.
Die Konnektivitäts-Lösung FORCE EDGE CONNECT, verfügbar im SAP Store, ermöglicht es, auch Bestandsmaschinen in Fabriken – dem sogenannten Brownfield – einfach digital anzubinden. Es lassen sich nahezu alle Maschinen digital anbinden, unabhängig von Hersteller, Alter, technischem Stand. Das schützt die Investitionen in Bestandsanlagen.
Die Lösung „verschalt“ die Vielseitigkeit der Maschinenanbindungen und -signale und liefert diese als standardisierte Events an übergeordnete Systeme. Diese können unter anderem MES- oder MOM-Systeme (Manufacturing Execution / Manufacturing Operations Management) sein wie beispielsweise SAP DM/ME oder MII. So reduziert die Lösung den Aufwand einer Digitalisierung deutlich und schafft eine standardisierte Schnittstelle zum Maschinenpark.
Damit ist eine der Kernanforderungen von Industrie 4.0 erfüllt, auf digitalem Wege Informationen aus der Maschinenebene zu generieren und auf allen Ebenen – Shopfloor wie Topfloor – nutzbar zu machen. Das bedeutet einen maßgeblichen Beitrag zur digitalen Transformation, weil die Kluft zwischen IT und OT geschlossen wird, zwischen Informationstechnik und operativer Technologie.
Verschiedene Bausteine flexibel einsetzen
Die Lösung FORCE EDGE CONNECT ist flexibel einsetzbar und kann auf jede Fertigung angepasst werden. Architektonisch ist die Lösung in Schichten (Level) unterteilt. Diese orientieren sich nach der betriebswirtschaftlichen Nutzung.
Das ermöglicht eine hohe Skalierbarkeit der einzelnen Komponenten. So können beispielsweise mehrere Edge-Knoten gehostet werden, um die Maschinen logisch, aber auch Performance-orientiert aufzuteilen.
- Level 0 – Assets
- Level 1 – Connectivity
- Level 2 – Anwendung
- Level 3 – Werk
- Level 4 – Enterprise
- Level 5 – Firmenübergreifend
Schritt 1: Alle Maschinen digital anbinden
Das wesentliche Element der Maschinenanbindung in der Lösung FORCE EDGE CONNECT ist die Software-Komponente Machine Connectivity & Model. Es sorgt sowohl für die Anbindung aller Anlagen als auch für die Smart Data-Generierung.
Die Anbindung der Maschinen erfolgt über ein innovatives Plug-in-Konzept. Aktuell werden alle gängigen, Maschinenhersteller-spezifischen (proprietären) Protokolle unterstützt (zum Beispiel HEIDENHAIN, Siemens S7 oder FANUC & Co.) sowie alle gängige Kommunikationsstandards – zum Beispiel
- OPC/UA (Open Platform Communications Unified Architecture),
- MTConnect (Manufacturing Technology Connect) oder
- MQTT (Message Queuing Telemetry Transport)
Für nicht netzwerkfähige Maschinen steht der FORCAM I/O Controller als separate Hardware zur Digitalisierung der Maschine zur Verfügung. FORCE EDGE CONNECT wird stetig um Plug-ins erweitert, um den Anspruch zu verwirklichen, jeden Maschinentyp mit unserer Edge-Lösung digital abbildbar zu machen.
Schritt 2: Signale interpretieren, Smart Data generieren und weiterreichen
Gerade im Brownfield-Umfeld ist es wichtig, nicht nur Signale abzugreifen und unsortiert weiterzureichen, sondern diese auch für eine smarte Nutzung zu interpretieren. Nach der Maschinenanbindung ist daher die nächste wichtige Kompetenz, dass eine zentrale „Intelligenz“ jedem Signal seine semantisch korrekte Bedeutung gibt und alle Informationen in einem einheitlichen Maschinendatenmodell zusammenfasst.
Unsere Lösung gewinnt aus den eingesammelten Signalen die unterschiedlichsten Messwerte und Kennzahlen. Grundlegend wichtig ist zum Beispiel die Information, wann sich eine Maschine tatsächlich –objektiv präzise gemessen – in Produktion oder im Stillstand befindet. Desweiteren zählen Meldungen über den aktuellen Status der angeschlossenen Maschinen oder deren Sensormesswerte wie zum Beispiel Temperaturen, Drücke oder Energieverbräuche zu den häufig genutzten Informationen. Das daraus generierte Maschinendatenmodell steht für Echtzeitanalysen in weiterführenden Systemen bereit.
Der Abruf der Maschinenstammdaten und die Konfiguration der Maschinenanbindung erfolgt über die EDGE API als RESTful API. Der EDGE API Eventservice dient zur Weitergabe von Maschinendaten in Form von standardisierten Events an übergeordnete Systeme. Die Anbindung von übergeordneten Systemen kann entweder über HTTP/REST oder MQTT erfolgen.
Die Events werden per HTTP im JSON-Format übertragen. Optional kann ein MQTT-Broker als Middleware eingesetzt werden. Die EDGE API ist vorkonfigurierten Standardevents zur Kommunikation mit der MES- oder ERP-Ebene ausgestattet. Diese lassen sich bei Bedarf weiter individualisieren.
Schritt 3: Die Vernetzung von gleichen Maschinen global skalieren
Wie eingangs gesagt, stellt die Vernetzung von globalen Fertigungsnetzwerken eine zentrale Herausforderung für große Hersteller dar. Auch diese Vernetzung bedarf zuallererst einer digitalen Anbindung auf Maschinenebene. Sie sollte möglichst standardisiert erfolgen können, um Zeit und Kosten zu sparen.
Die neu integrierte Software-Komponente Machine Repository in der Lösung FORCE EDGE CONNECT ermöglicht es Unternehmen durch einen neuartigen Template-Ansatz, bei der Anbindung von gleichen Maschinentypen in internationalen Fertigungsnetzwerken signifikant Kosten zu sparen und die digitale Einsatzfähigkeit von globalen Maschinenparks deutlich zu verkürzen.
Das Machine Repository funktioniert nach dem Konzept ,connect and scale´: Die Template-Struktur sorgt für eine standardisierte Anbindung von gleichen Maschinentypen und ermöglicht ihre Vergleichbarkeit. Standardvorlagen für alle gängigen Maschinen sind von vornherein enthalten. Neue Templates zur Maschinenanbindung können aus bestehenden Anbindungen abgeleitet oder neu definiert werden.
Den Zeitvorteil aus einer standardisierten Maschinenanbindung mit Template-Bibliothek lässt sich folgendermaßen quantifizieren: Nach Einarbeitung der Fabrik-Teams verkürzt sich die Anbindung gleicher Anlagen mit Machine Repository auf bis zu eine halbe Stunde je Maschine. Damit wird Unternehmen eine weltweit überaus schnell skalierbare Maschinen-Konnektivität ermöglicht.
Dabei ist das Machine Repository ein lernendes System: Das Wissen aus bestehenden Maschinenanbindungen steht schnell und standardisiert in allen Fabriknetzwerken eines Unternehmens bereit. So erhalten Unternehmen eine wachsende Bibliothek für die leichtgängige Vernetzung gleicher Maschinentypen.
Über die offene Schnittstelle bietet die Lösung zudem eine frei verfügbare Sammlung von Vorlagen für die Maschinenkonfiguration. Diese können heruntergeladen und dann in das eigene Machine Repository importiert werden.
Konnektivität für alle Maschinen, alte wie neue – unabhängig von Baujahr und Hersteller. Plugins dienen als Schnittstellen zu den Anlagen
Zentrale Datendrehscheibe zur Normierung aller Signale aus Maschinen und Events (Machine Connectivity & Model)
EDGE API als Schnittstelle zu allen Drittsystemen
Machine Repository für globale Skalierbarkeit der Anbindung gleicher Maschinentypen
Strategischer Nutzen: Brücke, bis eine „Asset Administration Shell“ Standard wird
Strategisch dient das Machine Repository der Standardisierung von „Digital Twin“-Implementierungen innerhalb eines Unternehmens. Dies ist wichtig, um die Zeit zu überbrücken, die benötigt wird, bis die meisten Maschinenhersteller den Standard einer Asset Administration Shell (AAS) übernehmen und die gängigen Industrie-4.0-Szenarien über die AAS-Submodelle zur Verfügung stehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der digitale Zwilling der Produktion stellt den zentralen Nutzen einer digitalen Transformation in fertigenden Unternehmen dar, um die strategischen Ziele Nachhaltigkeit, Effizienz und Innovationskraft zu erreichen. Das Fundament des digitalen Zwillings sind umfassende Maschinenkonnektivität sowie das Raffinieren von Big Data zu Smart Data.
Mit den immer neuen Möglichkeiten und Chancen von Industrie 4.0 und industriellem IoT steigen auch die Anforderungen an „Digital Twins“ weiter. Daher muss sich auch das Management von Maschinendaten – das Maschine Data Management – weiterentwickeln.
Die Komponente Machine Repository ist dabei ein zentraler Entwicklungsschritt, um Industrie-4.0-Pilotprojekte zu starten sowie deren Rollouts standardisiert erfolgreich zu managen. Der Wert der Standardisierung ist signifikant: Dabei geht es nicht allein um deutlich geringere Implementierungszeiten und Kosten der Maschinenanbindung, sondern auch um die erforderliche IT-OT-Integration und Zusammenarbeit.