Wie KI in der Fertigung Vorhersagen ermöglicht
KI in der Fertigung – was kann KI, was nicht?
Olga Mordvinova: KI-Lösungen in der Produktion können vorhandene Daten interpretieren, aus historischen Daten lernen und darauf basierend Vorhersagen für die Situationsentwicklung treffen. KI ermöglicht erweiterte Auswertungen, optimierte Supervision und bessere Planungen. KI vereinfacht menschliche Fabrikarbeit, ersetzt aber nicht die auch in einer Fertigung notwendige menschliche Kognition und Kreativität.
Vorhersagen – in unserem Webinar hast Du Beispiele aus der Praxis des Bahnfahrens genannt
Olga Mordvinova:Wir unterstützen zum Beispiel Bahnunternehmen in der Überwachung der kritischen Infrastrukturen, wie die Beleuchtung in Tunneln. Durch KI können wir nicht nur den Überwachungsteams einen besseren Einblick in die aktuelle Situation und mögliche künftige Ausfälle der Beleuchtung geben, sondern auch autonome Geräte zur Überwachung durch Edge AI „intelligenter“ machen.
Ein weiteres Beispiel ist die Überwachung der „Gesundheit“ der Schienen. Basierend auf fein-granularen Vibrationsdaten und GPS-Koordinaten des Zuges werden Gleisdefekte erkannt, klassifiziert und dem Wartungsteam bereitgestellt. Die erhaltenen Informationen helfen dem Kunden, Problemstellen auf der Strecke schnell zu erkennen und Wartungsarbeiten optimiert zu planen.
KI kann auch in der Produktion vielfältigste Vorhersagen treffen, wir nennen das Predictive Execution. Es geht zum Beispiel um die aus historischen Daten errechnete Wahrscheinlichkeit, ob Aufträge an Maschinen rechtzeitig erledigt werden oder nicht – inklusive Ursachenforschung. Oder auch vorauschauende Qualitätsplanung, in der Bewertung der zu erwartenden Qualitätskennzahlen bereits in der Planungsphase, bevor die eigentliche Produktion beginnt. Das ermöglicht eine rechtzeitige Planungskorrektur, z.B. indem man mehr Zeit für Operationen oder eine genauere Stückzahl für die Produktionslinie einplant.
Wie hängen KI und datengesteuerte Fertigung zusammen, also Data-driven Manufacturing?
Olga Mordvinova: Durch Data-driven Manufacturing wird versucht, den künftigen Herausforderungen der flexiblen Produktionsprozesse und den sich ständig ändernden Produktionsbedingungen gerecht zu werden. In diesem Kontext bedeutet datengesteuert, dass man nicht nach dem Eintreten, sondern bereits vor dem Eintreten des Engpasses agiert. Das leisten KI-Lösungen.
Datenanalysen kommen zwar schon heute umfänglich in der Produktion zum Einsatz. Eine datengesteuerte Fertigung ist in den meisten Fällen allerdings noch nicht erreicht. Erst, wenn Daten Aktionen ereignisgesteuert beeinflussen, so dass die Produktion adaptiv zu den Rahmenbedingungen abläuft, spricht man von einer datengesteuerten Produktion, bekannt auch als Smart, Next Gen oder Data-driven Manufacturing.
Welche Rolle spielen dafür semantische Datenmodelle in der Produktion?
Olga Mordvinova: Digitale Zwillinge spielen auch in der Produktion eine sehr wichtige Rolle. Datenmodelle sind dann smart und gewinnbringend, wenn sie auf semantischen Informationen basieren, die nicht nur Messdaten zum Beispiel von Maschinen oder einzelnen Sensoren betrachten, sondern auch Geschäftsprozesse, Beziehungen und Bedeutungen der verschiedenen Datenstrukturen einbeziehen. Dadurch haben sie eine wesentlich höhere Effektivität in ihrer Evaluation der Zusammenhänge, Korrelationen und letztendlich in den berechneten Vorhersagen.
Wie arbeitet INCTEC mit dem semantischen Produktionsdaten-Modell von FORCAM?
Olga Mordvinova: Unsere KI-Lösungen arbeiten nahtlos mit dem semantischen Modell von FORCAM. Es basiert auf fundierten Kenntnissen im Fertigungsprozess in seiner Vielseitigkeit und Variabilität. Es exponiert in seinen Schnittstellen vor-interpretierte Produktionsdaten in konsistenten Datenstrukturen, die nicht nur Maschinen- oder Arbeitsplatzinformation bereitstellen, sondern auch detaillierte Information über den historischen und aktuellen Zustand des arbeitsplatzübergreifenden Produktionsprozesses.
Unsere KI-Anwendungen beherrschen die Semantik der Produktionsprozesse von FORCAM FORCE™ und lernen selbst aus Small Data der Produktionslinie, problematische Situationen automatisch zu erkennen. Wir kombinieren selbstlernende Algorithmen mit einer globalen Einsicht in der Produktion und der Fähigkeit, den Mitarbeitern lokal Anweisungen an den Arbeitsplätzen rollenabhängig bereitzustellen. Beispiele für unsere Anwendungen: Erkennung von terminkritischen Aufträgen, vorausschauende Instandhaltung der Arbeitsplätze oder vorausschauende Gesamtanlageneffektivität OEE.
Wie wichtig ist dabei ein standardisiertes Semantik-Modell?
Olga Mordvinova: Eine Standardisierung ist immer wünschenswert – Stichwörter „Skalierbarkeit“, „Plattformökonomie“. Ein einheitliches Modell unterstützt die Industrie zum Beispiel dabei, Information zwischen Anwendungen und Programmen effizient und offen auszutauschen, Integrationen von Datenquellen und Funktionalitäten zu vereinfachen und Daten-Silos, die einen für eine erfolgreiche Digitalisierung einschränkenden Faktor darstellen, zu vermeiden.
Die Bereitschaft zur Standardisierung ist sicher auch eine der Komponenten, die das Semantik-Modell von FORCAM so erfolgreich und mächtig macht. Umfangreiche und offene Schnittstellen – OPEN API – sowie eine bi-direktionale Integration von produktionsrelevanten Systemen sind das Fundament der Offenheit und Harmonisierungsfähigkeit der FORCAM Lösung. Ob MES, ERP Systeme oder auch die Maschinenanbindung, diese Daten werden semantisch interpretiert und für eine breite, offene Nutzung bereitgestellt.
Hinzu kommt im FORCAM System die genaue Kenntnis und das tiefgreifende Mitwirken an flexiblen Fertigungsprozessen. Das Beherrschen komplexer Zusammenhänge, ob in den Prozessabläufen oder im OEE-Reporting, liefert aus meiner Sicht eine notwendige und solide Basis für alle Anwendungen, die auf Produktionsdaten aufbauen und einen richtigen Mehrwert für die Mitarbeiter in der Fertigung darstellen.
Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten wichtigen Anwendungsfelder von KI in der Industrie?
Olga Mordvinova: Sei es bei der Planung oder Qualitätsprüfung, wir werden uns weiter und noch stärker Richtung Automatisierung der Prozessabläufe und Prozesssteuerung bewegen. Während die Maschinen immer weitere repetitive Aufgaben ausführen und KI den Betrieb weiterhin optimiert, wird der Mensch Zeit haben, mit komplexen und kreativen Aufgaben zu beschäftigen.
Interview: Victor Gruber
Über die Autorin
Olga Mordvinova ist Gründerin und CEO von incontext.technology GmbH (INCTEC). Sie entwickelt Software für Smart Monitoring und steht für eine effektive, nachhaltige und nachvollziehbare KI. Die studierte Informatikerin befasst sich seit über 15 Jahren mit der Softwareentwicklung und Forschung in den Bereichen datenintensives Rechnen und KI, und arbeitete früher für IBM, SAP, ProsiebenSat1 und Universität Heidelberg.